4.
Als ich mit dem Motorrad nach Kilmun zurückfuhr, dachte ich über die Größe nach, von der Whybrow so eloquent gesprochen hatte. Die Zeit ließ sich nicht so einfach auf eine Definition reduzieren, wie der alte Dummkopf wohl dachte. Sie wird manchmal als ein Fluss beschrieben, der uns mit sich trägt. Oder - und in dieser Situation befand ich mich, als ich auf dem Sattel saß, gleichzeitig erheitert und entnervt vom Ausbruch meines Vorgesetzten - als eine Straße, auf der man sich fortbewegt. Keine dieser Erklärungen trifft zu, besonders dann nicht, wenn es um solche hartnäckigen Ereignisse geht, die Jahre später ungebeten wieder ins Bewusstsein zurückkehren, wie der Tod meiner Eltern. Und es sind nicht nur die wichtigen Ereignisse, die so zurückkehren, dachte ich ...
Meine philosophische Abschweifung wurde unterbrochen, als ich Pyke am Straßenrand knien sah, der einen Reifen an seinem Humber wechselte.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich.
Er nahm die Hilfe an, sagte aber kaum ein Wort, während wir am Wagen arbeiteten.
»Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte ich schließlich.
Er richtete sich auf. »Leviathan, mein Seelöwe, ist tot. Von einer Mine zerfetzt worden. Meiner Mine. In der ganzen Bucht schwimmen Stückchen.«
»Das tut mir schrecklich leid.«
»Und mir erst. Dabei bin ich selbst schuld. Ein Fehlschlag der Wissenschaft.«
»Was machen Sie jetzt?«
»Ich fahre nach London runter. Mountbatten hat von Churchill und Roosevelt grünes Licht für mein Projekt bekommen.«
»Dieses Habbakuk-Ding, von dem Sie gesprochen hatten?«
Er nickte. »Ich kann noch nichts Genaueres sagen, aber vielleicht melde ich mich bald bei Ihnen.« »Und Ihr Kollege?«
»Julius ist wieder in Cambridge. Ach ja, wir hatten einen seltsamen Besuch von der Frau ihres Freundes Ryman. Sie hat uns eine Blutprobe gebracht. Etwas in einem Reagenzglas in einer Zitronensäurelösung und noch mehr auf einem Taschentuch. Julius sollte es für sie untersuchen.«
»Worauf?«, fragte ich erschrocken.
»Rhesuskompatibilität. Blutgruppen. Julius hat vor kurzem einige neue Entdeckungen auf dem Gebiet der Blutzusammensetzung gemacht, allerdings weiß ich nicht, ob sie das wusste. Ziemlich seltsam. Julius hat sich natürlich nicht aus der Ruhe bringen lassen.«
»Sie weiß es«, sagte ich verwirrt. »Ich habe ihr selbst davon erzählt.«
»Bin spät dran«, sagte Pyke, als er auf die Uhr sah. »Ich muss los. Habe einen Termin bei Lord Louis, wie gesagt. Der Einzige von denen da oben, der für meine Ideen offen ist. Manchmal hat man weiß Gott das Gefühl, dass die Regierung sich aktiv gegen den Einsatz der Wissenschaft für den Krieg wehrt.«
Er warf den Wagenheber in den Kofferraum, schlug die Klappe zu und setzte sich dann ans Steuer. »Machen Sie es gut, Henry.«
Ich beugte mich zum offenen Fenster hinunter. »Warten Sie. Hat Julius ... hat er das Blut untersucht?«
»Keine Ahnung. Er hat es in einer Thermoskanne mit nach Cambridge genommen. Ich weiß nicht, was er Rymans Frau gesagt hat.«
Er ließ den Wagen an und fuhr los. Ich stieg wieder aufs Motorrad und setzte meine Fahrt fort.
Während ich über das nachgrübelte, was Pyke erzählt hatte, wurde ich ein Stück weiter von zwei Kradmeldern von der Straße gewunken, die mir entgegenkamen. Sie ließen sich meine Papiere zeigen. Wichtige Würdenträger sollten bald vorbeikommen.
»Bonzenparade«, erklärte einer der Soldaten. »Sie müssen von der Straße runter.«
Wir blieben am Straßenrand stehen und ließen den Konvoi vorbei. Er war ziemlich beeindruckend. Zwei weitere Motorradfahrer. Ein offener Armeelastwagen voller Soldaten mit Maschinenpistolen. Ein Rolls-Royce, ein Buick und dann noch vier Motorräder hinterher.
»Hier, gucken Sie sich mal die hohen Tiere an«, sagte der eine Soldat und gab mir sein Fernglas.
Im Rolls-Royce sah ich kurz zwei gebeugte Männer mit Mänteln und im amerikanischen Dienstwagen eine Menge von Uniformen.
»Churchill«, sagte der Soldat, der sich nicht mehr beherrschen konnte. »Und Eisenhower. Das ist ein ganz Wichtiger von den Amis. Die besichtigen die Kommandobasis in Ardentinny. Naja, wir müssen mal wieder los.«
Er trat den Kickstarter, und die beiden holperten zwischen Stechginsterbüschen über das kurzgemähte Gras, bevor sie auf der Straße Gas gaben, um den Konvoi einzuholen. Ich blieb noch eine Weile auf mein eigenes Motorrad gelehnt stehen, rauchte, sah mir den Himmel über den Hügeln an und zerbrach mir wieder den Kopf über das, was Pyke mir über Gill Ryman und die Blutprobe erzählt hatte.
Mein Blick fiel auf eine große Pfütze in einer Felsmulde. Es heißt, Wasser sei das Auge der Landschaft, aber ich war auch nicht schlauer. Ehrlich gesagt war ich verwirrt.
Wie eine Bestätigung meiner Gedanken zog Nebel auf und legte sich über den Ginster und die Felsen und ließ die Sonne nur noch als undeutlichen Fleck erscheinen. Es war genau wie beim Hund von Baskerville, auch wenn man meteorologisch wohl von einem dichten Seenebel gesprochen hätte. Oder war es doch ein Talnebel? Wenn sich das Tal in Seenähe befindet, könnte die korrekte Bezeichnung selbst den Einfallsreichtum des Herrn auf die Probe stellen. Ich beschloss, schnell nach Hause zu fahren.
Doch ein unvorhergesehenes Treffen stand mir nach ein paar Meilen auf der dunstigen Straße noch bevor. Es war Mackellar mit seiner Kutsche. Er hatte einen Fahrgast, und obwohl der Nebel jetzt sehr dicht war, konnte ich gerade noch die Umrisse von Gill Ryman erkennen, die in einen Schal gehüllt war. Auf den Knien hatte sie eine Decke liegen.
Ich hielt an und sah zu ihr hinauf. »Auch unterwegs?« Nicht die schlauste Frage, muss ich zugeben, aber es war ein ziemlich seltsamer Tag gewesen, der sich in dieser Hinsicht noch steigern sollte.
»Zur Isle of Wight«, erwiderte sie.
»Mit Mackellars Kutsche?«
Ihr Blick strafte mich für die dumme Frage. »Wallace bleibt zu Hause. Er kann es erklären.« Sie hielt einen Moment lang inne, als ob sie eigentlich schweigen wollte, dann aber doch nachgab. »Ich bekomme ein Kind. Er erträgt es nicht noch einmal. Und ich auch nicht.« Ihre Stimme brach. »Und jetzt müssen wir uns leider beeilen, damit wir die Fähre bekommen.«
Mackellar - mein ehemaliger Freund, Frauenschläger, Mozart der Lockpfeife - warf mir einen unergründlichen Blick zu. Dann knallte er mit der Peitsche und verschwand im Grau.